„Du gehörst mir, du bist mein Eigentum, für immer“ – Wenn Tattoos zu Waffen der Kontrolle werden
28.07.2025
Tattoos können Geschichten erzählen. Sie können an schöne Erinnerungen erinnern, persönliche Wendepunkte symbolisieren oder einfach ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sein. Doch was, wenn ein Tattoo nicht freiwillig gestochen wurde?
Wenn es keine Geschichte der Selbstbestimmung erzählt, sondern ein Symbol von Gewalt, Kontrolle und Ausbeutung ist?
Junge Frauen und Mädchen, die in die Zwangsprostitution gelangen, werden häufig durch einen “Loverboy” oder ähnlichen emotionalen und physischen Abhängigkeiten in die Prostitution gedrängt. Ein „Loverboy“ ist ein junger Mann, der eine Liebesbeziehung zu einem meist jüngeren Mädchen - manchmal sogar schon 11- oder 12-Jährige - vortäuscht: Er manipuliert sie emotional, isoliert sie sozial und zwingt sie in die Prostitution. Mit Drogen, Gewalt und Drohungen macht er sie hörig – sie ist ihm ausgeliefert.
Im Kontext von Menschenhandel, insbesondere auch bei der Loverboy-Methode und in der Zwangsprostitution, dienen Tattoos oft als perfide Werkzeuge der Macht. Sie sind nicht nur ein äußeres Zeichen – sie sind ein Besitzanspruch. Das erklärt auch Sandra Norak, selbst Überlebende von Zwangsprostitution. Sie berichtet von Tätowierungen, die Namen, Barcodes oder Symbole enthalten – klare Botschaften: „Du gehörst mir.“ Diese Markierungen sollen Identität rauben und eine Bindung schaffen, die nur dem Täter nutzt.
Für die Betroffenen können diese Tattoos zu dauerhaften Narben nicht nur auf der Haut, sondern auch auf der Seele werden. Sie sind oft an sichtbaren Körperstellen angebracht und erinnern so ständig an das durchlebte Trauma.
Vor einigen Jahren klagte eine Betroffene vor dem Sozialgericht Düsseldorf die Kostenübernahme der Tattoo-Entfernung ein. Sie litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, und das Tattoo war ein permanenter Trigger. Das Gericht entschied zu ihren Gunsten: Die Entfernung des Zwangstattoos wurde als medizinisch notwendige Behandlung anerkannt. Die Krankenkasse musste zahlen.
Doch nicht alle Betroffenen wählen die Entfernung. Viele entscheiden sich für einen anderen, ebenso kraftvollen Weg: das Überdecken. Tätowierer:innen, die sich auf sogenannte Cover-Ups spezialisiert haben, helfen Überlebenden dabei, die Zeichen der Kontrolle in Symbole der Freiheit zu verwandeln. Ein Neuanfang auf der Haut – und in der Seele.
In dieser künstlerischen Umdeutung liegt enorme Stärke. Aus einem Akt der Gewalt entsteht ein Akt der Selbstermächtigung. Und ein Tattoo, das einst ein Zeichen der Unterdrückung war, wird zu einer Botschaft des Überlebens.
Wir sehen Prävention als einen wichtigen Baustein, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Mit unserem Programm “Liebe ohne Zwang” klären wir z.B. an Schulen über die “Loverboy-Methode” auf und bilden Multiplikator:innen aus. Momentan arbeiten wir daran, unsere Zielgruppen zu erweitern, um noch mehr Menschen zu schützen.
Quellen: Tattoos als Eigentumsstempel | Sandra Norak
Erzwungenes Tattoo kann krank machen | Ärzte Zeitung